Hania Rani in Linz

Was ich da im Konzert erlebt hatte, es betrifft mich ja auch selbst, wie ich mich wahrnehme als Musiker, weswegen es mich vielleicht auch noch mehr durcheinander gebracht hat.

Die Atmosphäre dort auf dem Pfarrplatz war nicht so, wie ich sie mir erhofft hatte. Es war ein Lärmpegel, wie auf einem Volksfest, überall lag der Duft von Bier und Schweiß in der Luft. Eine laute, wichtige Verkehrsstraße fuhr ebenfalls gefühlt mitten durch den Platz, auf welcher sich um diese Uhrzeit vermehrt laute Auspuffe von frisierten Wagen an der roten Ampel bemerkbar machten. Beinahe ein jeder Song wurde von einem vorbei rauschenden Rettungswagen mit Martinshorn begleitet und als Höhepunkt kam eine riesige, seltsame und laut lärmende Landwirtschaftsmaschine hinzu. Der Platz hatte ein leichtes Gefälle, die Bühne war schräg am höher gelegenen Teil des Platzes aufgebaut. Dadurch fühlte man sich durch die Schwerkraft wie von der Bühne weggezogen, und nicht zu ihr hin. An ein Hinsetzen war nicht zu denken, dazu gab es kaum Treppen oder Simse, Stühle schon gar nicht, und die vielen Scherben hinderten selbst Jugendliche daran einfach am Boden zu flacken.

Hania Rani spielte hauptsächlich Stücke aus ihrem neuen Programm, gemischt mit denen der letzten zwei Jahre. Sie hatte nur einen Mitmusiker dabei: einen Bassisten, der den Kontrabass und einen Synthesizer spielte. Natürlich lässt sich in dieser Besetzung vieles ihrer aktuellen Musik nicht spielen. Rhythmen und Beats kamen nicht von einen Schlagzeug, oder einem Drumpad, sondern aus der Konserve, von einem MacBook Pro, dass gut hinter dem Klavier versteckt war und durch einen Controller, welcher im offenen Flügel versenkt war, bedient wurde. Oft übernahm der Bassist mit seinen Bogen, die sphärischen Elemente, aber dort wo sie normalerweise vom Gitarristen, oder einem Bläser kommen sollten, kamen sie von der unsichtbaren Zauberhand der Technik.

Noch vor dem Konzert, als Hania von der FM4 Moderatorin angekündigt wurde, bekam man das Gefühl, dass die Moderatorin sich vor dem Publikum entschuldigen müsse, da man für das folgende Konzert sich auf die Musik einlassen und ihr Zeit geben müsse, Zeit die viele scheinbar nicht zu haben schienen, welche nur an die nächste Halbe dachten, oder wen sie heute noch anbaggern versuchen sollen. Hania war auch wirklich eine Ausnahme im Programm, die meisten anderen Künstler lieferten witzige Performances in bunten Kostümen mit lässig tanzbarer Pop- und Rockmusik ab. Vielleicht entschied sie sich auch aufgrund dieser ganzen Umstände dazu, ihre am meisten tanzbaren Stücke zu spielen, auch wenn diese halt nur mit viel Playback live zu realisieren waren. Mich erinnerten diese Klänge trotzdem eher an eine Stimmung in einem Klub, die Lichter und Nebel auf der Bühne waren ja auch echt schön anzuschauen, aber jedes mal, wenn ich meinen Blick von der Bühne abwendete, wurde ich aus der Trance herausgerissen. Die wenigen teils überraschend virtuosen Stücke, welche sie alleine spielte, ganz ohne ihren Partner oder das Playback, gefielen mir, wie sich alle die mich kennen vielleicht denken können, am besten, auch wenn es mühsam war sich unter dem lauten Geräuschpegel im Publikum darauf zu konzentrieren. Wohlgemerkt, ich stand quasi in der ersten Reihe, eigentlich in der dritten, aber vor mir waren nur ein paar kleinere Personen, welchen ich die Sicht nicht versperren wollte. Hania stand oft mit dem Rücken zum Publikum, weil sie hauptsächlich auf ihren elektronischen Instrumenten spielte, welche eben neben dem Klavier und dem Flügel derart angeordnet waren. Ihre langen offenen goldenen Haare ermöglichten nur selten einen Blick auf ihr Gesicht, auf ihre Augen. Lange sprach sie gar nicht zum Publikum, weil sie viele Stücke miteinander verband. Doch immer als sie es tat, schien sie super glücklich und motiviert zu sein. Entweder war ich beeindruckt davon, wie professionell sie trotz aller Umstände das bestmögliche Konzert spielte, oder wie es ihr einfach egal war und sie für sich und ihren Partner die Zeit auf der Bühne zu genießen vermochte.

Sie kündigte am Ende noch an, dass es noch Merge zu kaufen gebe und sie auch später zum Stand kommen würde. Also begann ich nach Konzertende zu warten. Ich mein, sie ist mir schon ein großes Vorbild, auch wenn sie nur wenige Tage älter ist als ich. Ich sie gerne kurz auch als Mensch erlebt und ihr natürlich am liebsten all die Fragen gestellt, die ich in dem Moment noch gar nicht formulieren konnte. Die außergewöhnlichen Umstände dieses Konzertes hätten so einen Kontakt, der zwischen Künstler*Innen mit einem derartigen Bekanntheitsgrad und dem Publikum normalerweise unmöglich — fast schon verboten — ist, denkbar gemacht. Aber gefühlt nach einer halben Stunde war der Platz bereits fast menschenleer, bis auf ein paar wenige Gruppen Studierender. Die Bühnentechniker waren noch immer am abbauen und Hania war weder am Merge noch mehr auf der Bühne zu sehen. Ihr Mitmusiker begann sich an den großen schönen schwarzen Bechstein Flügel zu setzen, um ihn herum die vielen Helferlein, welche die ganzen Kabel aufrollten, und fröhlich vor sich hin zu klimpern.

Als ich nach Linz fuhr war ich noch motiviert, der Schlafplatz war mir egal, ich könnte ja einfach die ganze Nacht durch tanzen und mit dem ersten Zug wieder nach Hause fahren, oder mich in die Donauwiesen früh morgens zum schlafen legen. Aber in diesem Moment war ich froh um meinen Schlafplatz auf der Couch des Bruders meiner Mitbewohnerin, welcher wie durch ein Wunder keine 200 Meter weiter wohnte. Ich bekam Zweifel, ob Hania überhaupt noch zum Merge-Stand kommen würde. Deswegen quatschte ich, oder genau gesagt stellte ich mich, kurzentschlossen, all meinen Mut zusammen nehmend, zu einer dieser Fremden Gruppen, ein Mann mit besonders imposanten äußeren, war das Zündchen an der Waage mich für diese spezielle Gruppe zu entscheiden. Keine zehn Minuten später tauchte eine junge Frau auf, eine Architekturstudentin an der Linzer Kunstuniversität, so wie auch der Rest der Gruppe, und weichte die nächste Stunde kaum von meiner Seite. Als sie mir erzählte, dass sie noch nie in meiner aktuellen Heimatstadt war und diese so gern mal sehen würde, gab ich ihr allerdings nicht etwa meine Nummer und lud sie ein mich zu besuchen, sondern dachte an die Nachricht von meiner Mitbewohnerin, welche schrieb, dass wenn ihr Bruder erst mal schlief, nicht mehr aufzuwecken sei, und machte mich gegen zwei Uhr morgens auf den Weg zu ihm.